Warum wollen wir starke Gefühle nicht spüren? Welche Strategien haben wir im Umgang mit ihnen entwickelt? Und wie können wir mit ihnen leben? Ludwig Pillhofer, Autor des Buchs «Liebe, Angst & Schmerz», ist überzeugt, dass wir nie an den Gefühlen selbst leiden, sondern an der Art und Weise, wie wir gelernt haben, mit ihnen umzugehen. Im Interview erfährst du, wie wichtig es ist, unliebsame Gefühle anzunehmen, und wie uns unser Atem dabei hilft, unseren Herzenswünschen zu folgen und das Leben zu leben, das wir wirklich leben wollen.
Ludwig, woran krankt die Gesellschaft?
An vielem. Zum Beispiel daran, dass wir Gefühle, die wir nicht spüren wollen, ausgrenzen, indem wir kurz und flach atmen. Für diese Vermeidungsstrategie zahlen wir aber einen hohen Preis, denn wenn Bauch und Zwerchfell ständig angespannt und die Bauchorgane schlecht durchblutet sind, kann uns das über kurz oder lang krank machen. Zu der körperlichen Ebene kommen unser Verhalten und unsere Gedanken, mit denen wir Muster konstruieren, die uns in unserer Entwicklung blockieren können. Wir dürfen unliebsame Gefühle nicht als Feindbild sehen, das bekämpft werden muss. Für ein glückliches und gesundes Leben sollten wir aufhören zu bewerten und anfangen, alle unsere Gefühle anzunehmen und zu integrieren.
Ein starkes Gefühl ist Angst. Weshalb ist Angst heutzutage so weitverbreitet?
Unsere Gesellschaft hat ein Problem mit starken Gefühlen, daher lernen viele schon als Kind, dass es nicht in Ordnung ist, wütend oder traurig zu sein. Wie sollen wir so einen konstruktiven Weg finden, mit solchen Gefühlen umzugehen? Sie sind aber nun einmal da und wir können nicht einfach einen Deckel drauf tun. Wichtig wäre daher, sich einzugestehen, dass man Angst hat. Den verschiedenen Ängsten in die Auge zu schauen und über sie zu reden neutralisiert sie und hilft zu erkennen, ob es eine rationale oder irrationale Angst ist. Ist unsere Gesundheit und unser Leben nicht in «realer» Gefahr, können wir die Angst als irrational erkennen, mit ins Boot holen und mit ihr weitergehen.
Klingt einfacher, als es ist. Wie hilft dein Buch dabei?
Mein Buch ist ein Mutmacher. Mit Mut schaffen wir den Sprung aus der Opfer- oder Täterrolle in die Abenteurerrolle. Beschreiten wir diesen spannenden Weg, sind wir weder Opfer noch Täter. Als Abenteurer wagen wir Neues, sagen unsere Meinung und folgen unseren Herzenswünschen. Mutig sein, heisst übrigens nicht, keine Angst zu haben. Soll es auch nicht, denn Angst macht uns wachsam, achtsam, vorsichtig und lebendig. Sie soll uns aber nicht davon abhalten, unser Potenzial voll zu leben.
Ludwig Pillhofer
ist Yogalehrer sowie Atem- und Körpertherapeut mit Weiterbildungen in Traumatherapie. Zudem bietet er Meditationen, Achtsamkeitstrainings und spezielle Erfahrungen wie Kaltwasser-Atemtraining, Eisbaden oder Barfusswanderungen an. Sehr empfehlenswert ist auch seine Atemgruppe in Einsiedeln.
Welche Rolle spielt der Atem beim Umgang mit starken Gefühlen?
Er ist essenziell. Die meisten Menschen entwickeln im Umgang mit starken Gefühlen Überlebensstrategien, damit sie sie nicht spüren müssen. Sie kompensieren mit Shopping, Extremsport, Drogen oder lenken sich anderweitig – zum Beispiel mit ihrem Smartphone – die meiste Zeit von sich selbst ab. Der Atem bringt uns wieder zu uns und hilft uns, gesund, kraftvoll, mutig, kreativ, mitfühlend und liebend durchs Leben zu gehen. Da wir ihn besonders in schwierigen Zeiten brauchen, sollten wir ihn regelmässig in unseren Fokus rücken, üben und experimentieren. Atemübungen beziehungsweise einfach bewusst im Alltag zu atmen bringt uns immer in den Moment. So steht uns der Atem einerseits bei emotionalen Belastungen als Kraftquelle zur Verfügung und andererseits hilft er uns in guten Zeiten, das Beste aus uns rauszuholen. Ich sage immer: So wie wir atmen, so leben wir. Am Ende des Tages ist unsere Realität ein Spiegelbild dessen, wie wir geatmet, gedacht und gehandelt haben.
«Ohne Angst wüsste ich nicht, wohin die nächsten Schritte gehen, denn die Angst und die Sehnsucht weisen mir meinen Weg.»
Ludwig Pillhofer
Kann der heilsame Atem auch bei Traumata helfen?
Auf jeden Fall. Die meisten Menschen haben schon als Kind mehr oder weniger traumatische Erlebnisse gemacht. Auch hier geht es ums Annehmen. Das Erlebte ist Geschichte. Man hat es überlebt und jetzt darf es weitergehen. Wenn ich bewusst und tief atme, macht der Körper, was er benötigt – das kann sich in Zittern, Beben, Hitzewallungen, Kältefluss oder auch in Tränen äussern. Alles ist möglich und richtig. Vertraut man seinem Körper und dem Leben, geht man vielleicht einige Minuten durch die «Hölle» – sprich die starken Gefühle –, dafür fühlt man sich anschliessend wie neu geboren.
Wie können wir den Atem im Alltag nutzen?
Atmen wir gleich lang oder länger aus als ein, aktiviert man den Parasympatikus. Das beruhigt das ganze System und führt in die Entspannung. Wir können das im Alltag bei Nervosität oder Angst schnell und effektiv einsetzen. Wir können mit dem Atem aber auch bewusst mehr Energie in den Körper bringen. Was auch immer du benötigst, du kannst dich auf deinen Atem verlassen. Er wird dich immer unterstützen. Ich möchte daher alle Menschen motivieren und ermutigen, regelmässig Atemübungen zu machen, damit sich die Wirkung der Übungen auch im Alltag entfalten kann. Im Kapitel über den Atem habe ich verschiedene Atemübungen beschrieben und mit Videos verlinkt, damit jeder zuhause in Ruhe üben kann. Denn: Übung macht den Meister und steter Tropfen höhlt den Stein.
Du schreibst in deinem Buch auch über die Liebe. Weshalb?
Weil es letztlich immer um die Liebe geht. Wir sind liebende Wesen. Kein Mensch wird als Teufel geboren. Die Hörner wachsen erst im Laufe des Lebens (lacht). Wer zur Ganzheit finden will, muss alle Anteile, die verdrängt wurden, und seine Schattenseiten annehmen und integrieren. Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben. Es beginnt also bei der Selbstliebe. Wir dürfen verletzlich sein, das zeigt, dass wir menschlich sind. Wir dürfen uns auch schützen, aber wir müssen uns fragen, ob es uns in dieser Situation etwas bringt oder nicht. Wenn wir auf dem Sterbebett sagen können, ich war der Liebe stets zugewandt, ich bin mir treu geblieben und mein Leben war ein Abenteuer, dann haben wir sicher vieles richtig gemacht. Also, trau dich, deinen Herzenswünschen zu folgen. Dein Atem hilft dir dabei.
Herzlichen Dank für das spannende Gespräch und dein wundervolles Geschenk an die Menschheit, lieber Ludwig. Mögen sich ganz viele Menschen dein Buch gönnen und von deinem Wirken profitieren. Ich kann die Lektüre und das Atemtraining bei dir von Herzen empfehlen.
Zum Buch
«Liebe, Angst & Schmerz. Was wir von starken Gefühlen lernen können» ist ein Buch über die Liebe, über unsere Gefühle und eine Liebeserklärung an unseren Atem. Ludwig Pillhofer zeigt auf, wie wichtig es für ein erfülltes Leben ist, starke Gefühle wie Angst und Schmerz anzunehmen, und wie es uns mit bewusster Atmung gelingt, diese zu integrieren. Sein empfehlenswertes Erstlingswerk ist ein wertvoller, mutmachender und inspirierender Ratgeber voller persönlicher Erfahrungen, hilfreichem Wissen und praktischen Übungen – erfrischend, authentisch und verständlich geschrieben.
ISBN: 978-3-347-83899-4
Veröffentlichung: 14.04.2023
Anzahl Seiten: 412
Erhältlich im Buchhandel.
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